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Wie die Spinne im Netz

Von Sven Hilbig am

In vielen Bereichen wird Politik gleichgesetzt mit Tagespolitik. Stellungnahmen von Politikern oder Regierungserklärungen werden möglichst schnell kommentiert. Auch Teile der Zivilgesellschaft arbeiten inzwischen nach diesem Muster. Dabei geraten die großen, mitunter historischen, Linien und grundlegenden Entwicklungen aus dem Blickfeld. Aber nach wie vor gilt: Politisches Engagement kann langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn ihre eine profunde Analyse zugrunde liegt. In seinem Gastbeitrag ‚Wie die Spinne im Netz‘ geht Peter Wahl auf die Anfänge der G 7 ein und legt dar, wie sich die Rolle der Nationalstaaten in den vergangenen vier Jahrzehnten verändert hat, und was dies für die gegenwärtigen Debatten rund um die G7, und insbesondere ihren Anspruch Global Governance zu betreiben, bedeutet.  Ferner setzt er sich eingehend mit der Frage auseinander, was Global Governance leisten kann und was nicht.

Die G7 im System von Global Governance

Auch wenn bei der Gründung der G7 1975 noch niemand von Globalisierung sprach, das Ende des Systems der festen Wechselkurse, auf das die G7 die Antwort sein sollte, war so etwas wie der Urknall der Globalisierung. Vermutlich ahnte 1975 auch kaum jemand etwas von der historischen Tragweite dieses Einschnitts, die weit über die Veränderung des Weltwährungssystems hinausgehen sollte. So hat die Globalisierung enorme politische und kulturelle Effekte. Einer der wichtigsten davon ist die Veränderung der Rolle des Nationalstaates. Habermas spricht von einer „Entmächtigung“ des Nationalstaates.

Gemeint ist: Mit der Freigabe der Wechselkurse und der Liberalisierung der Kapitalflüsse werden die nationalstaatlichen Grenzen der Regulierung von Wirtschaft durchlässig. Kapital wird in einem Maße transnational mobil, wie kein anderer Produktionsfaktor. Natürlich ging das einher mit technologischen Umwälzungen, u.a. im Kommunikationsbereich. Waren bis dahin allein schon die Kapazitäten von Überseekabeln eine technische Beschränkung auch für den internationalen Kapitalverkehr, so hat sich das mit der Satellitenkommunikation grundlegend geändert.

All das hat Konsequenzen z.B. für die Fähigkeit des Nationalstaates, Kapital zu kontrollieren, zu besteuern, zu regulieren. Umgekehrt eröffnen sich für das Kapital neuartige Optionen außerökonomischer Macht. Schon mit der bloßen Drohung, Kapital abzuziehen ist ein enormes Druckpotential auf Nationalstaaten entstanden. Es findet eine Erosion nationalstaatlicher Souveränität statt, was wiederum auf die Demokratie zurückwirkt, die historisch und strukturell an den Ordnungsrahmen des Territorialstaates gebunden ist: „Die lähmende Aussicht, dass sich die nationale Politik in Zukunft auf das mehr oder weniger intelligente Management einer erzwungenen Anpassung an Imperative der ‚Standortsicherung’ reduziert, entzieht den politischen Auseinandersetzungen den letzten Rest an Substanz.“ 1

Die Erfindung von Global Governance

Angefangen hat der Prozess damit, dass die Wechselkurse jetzt von den Devisenmärkten bestimmt werden. Damit verlieren Regierungen einen Gutteil der Wechselkurshoheit und damit politischer Steuerungsfähigkeit bei einem der wichtigsten makro-ökonomischen Parameter. Sie können allenfalls noch durch marktkonforme Instrumente – Kauf oder Verkauf ihrer Währung - noch versuchen, den Kurs zu beeinflussen, zumal Kapitalverkehrskontrollen im Zuge der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte tabuisiert wurden. In vielen Strukturanpassungsprogrammen, die nach Ausbruch der Schuldenkrise des Südens aufgelegt wurden, sind sie ausdrücklich untersagt, während die Wechselkursfreigabe immer eine der ersten Auflagen ist.

Vor allem die europäischen Mitgliedsstaaten der G7 hatten 1975 gehofft, dass der Verlust der Wechselkurshoheit durch politische Absprachen in einem informellen Gremium kompensiert werden könnte. Damit machten sie einen ersten Schritt hin zu einem Konzept, das in den 1990er Jahren als Global Governance systematisch zu einer politischen Strategie ausgebaut wurde.

Was ist Global Governance?

Governance ist nicht Government. Es gibt keine adäquate deutsche Übersetzung für den Begriff Governance. Im französischen Ursprung gouverner bedeutet es steuern, lenken, leiten. Wortschöpfungen wie Weltinnenpolitik oder Globale Ordnungspolitik die in eine ähnliche Richtung gehen, haben sich nicht durchgesetzt. In der Sache bedeutet Global Governance:

Die ökonomischen Prozesse der Globalisierung sind der politischen Regulierung entglitten (disembedding-These). Deshalb werden neue politische Regulationsformen für transnational agierende Wirtschaftsakteure notwendig. Durch einen Mix an formellen und informellen Vereinbarungen, durch informelle institutionelle Arrangements sollen Regulierungseffekte erzielt werden. Auf diese Weise soll politische Regelungskompetenz zurückgewonnen werden (re-embedding-These). All dies setzt einen neuen Typus von Zusammenspiel der bisherigen Akteure in der Weltpolitik, also Regierungen und internationalen Institutionen, ebenso voraus wie die Einbeziehung der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft.

Die G7 entspricht mit ihrem informellen Charakter, mit der Einbeziehung von Wirtschaft in Form von Business-Gipfeln und Konsultationen mit der Zivilgesellschaft (seit den neunziger Jahren) weitgehend dem Konzept von Global Governance. Dem Ganzen ist sowohl unter unter Demokratie- als auch Effizienzgesichtspunkten eine gewisse Diffusität und etwas von „weicher Machtausübung“ eigen.

Das kann unter bestimmten Bedingungen von Vorteil sein, etwa dann, wenn harte und formale Strukturen und Abkommen handlungsunfähig oder nicht konsensfähig sind. Insofern war Global Governance eine innovative Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Die Schaffung von internationaler Lösungskapazität für globale Problemlagen ist eine dringende Notwendigkeit. Allerdings ist mit den Methoden von Global Governance von vorneherein auch das Risiko von einer Fassadenveranstaltung verbunden, die die tatsächlichen Verhältnisse und Abläufe kaschiert. Mit dieser inhärenten Ambivalenz waren die G7 von Anfang an befrachtet.

Mehr noch: in der Verflechtung mit anderen formellen und informellen Institutionen wie dem IWF, der Weltbank, der OECD, dem Pariser Club (seinerseits ein informelles Gremium der Schuldner in der Schuldenkrise des Südens) haben sich Informalität und Diffusität noch einmal um eine Größenordnung gesteigert. Die G7 werden zum Zentrum eines ganzen Systems, das globale Regulierungsfunktionen ausübt. Mit der Ausweitung der Agenda auf Sicherheitsfragen seit der sowjetischen Intervention in Afghanistan 1979 integrierte die G7 sogar Militärisches und die NATO in ihr Gravitationsfeld. Die G7 wurde zur Spinne im Netz von Global Governance.

Dennoch ist die Charakterisierung der G7 als informelle Weltregierung unzutreffend. Und zwar vor allem, weil Global Governance nicht wirklich gut funktioniert und nur wenige Erfolge vorzuweisen hat.

Warum Global Governance nicht funktioniert

Bereits die o.g. Entmächtigung des Nationalstaates gilt nicht für alle Länder gleichermaßen. Was für Burkina Faso und Lettland und selbst in gewissem Maße noch für eine Regionalmacht wie Deutschland zutreffen mag, sieht für eine Supermacht wie die USA oder China anders aus. Vor allem die großen Nationalstaaten verfolgen nach wie vor ziemlich rigoros das, was sie für ihre nationalen Interessen halten. Deren Dominanz verhindert letztlich auch die Wirksamkeit von Regulierungs- und Steuerungsversuchen, sobald widerstreitende Interessen ins Spiel kommen. Es stellte sich heraus, dass der Versuch der G7, die Weltwirtschaft durch Gipfelgespräche zu steuern, sich gegenüber der Durchschlagskraft globalisierter Märkte als ziemlich ohnmächtig erwies, sofern dies überhaupt erwünscht war. Denn für einige Länder – nämlich jene mit hoher Wettbewerbsfähigkeit - sind freier Kapitalverkehr und Freihandel wesentliche Bestandteile ihres nationalen Interesses.

Für die Position der G7 im System der Global Governance gilt zudem, dass das Ganze hierarchisch organisiert und herrschaftsförmig strukturiert ist. Das ruft Kritik, Protest, Widerstand hervor. Nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch bei jenen Ländern, die nicht das Privileg haben, Mitglied im Club zu sein.

Teil dieses Problems ist, dass mit der unaufhaltsamen Herausbildung einer multipolaren Weltordnung, die G7 und ihr institutionelles Umfeld nicht nur weiter an Legitimität, sondern auch an Wirksamkeit verliert. Wenn, um nur das aktuellste Beispiel zu nennen, in die Asiatische Bank für Infrastrukturinvestitionen (AIIB), die gegen den erklärten Willen der USA kürzlich von China gegründet wurde, selbst treueste Verbündete Washingtons geradezu hineinströmen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass wir an der Schwelle einer neuen Epoche stehen. Gibt es eine Rolle der G7 darin? Und wenn ja, welche?

Peter Wahl ist Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung. Für Brot für die Welt beobachtet er den G7-Gipfel 2015 in Schloss Elmau.

1 Habermas, Jürgen (1998):
 Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 2.

 

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